Der A-Vokal
Seit den Anfängen der Gesangspädagogik taucht eine Fragestellung unter Sängern und Gesangslehrern immer wieder auf: »Wie erreicht man Balance im A-Vokal?« In diesem Artikel möchte ich versuchen, die Fragen und Herausforderungen anzusprechen, vor die dieser Vokal gleichwohl Sänger wie Lehrer immer wieder stellt. Wie oft schon wurden Sänger mit diesen wohl verbreitetsten Problemen konfrontiert ? Wie oft haben viele von uns schon Aufführungen von wunderbaren Sängern gehört, deren Stimme bis auf den A-Vokal wunderbar ausgeglichen war? Wie lautet die Lösung dieses Problems? Ich werde versuchen, alle Aspekte dieses stimmlichen Problems zu beleuchten und Lösungen vorschlagen, um den Leser in die Lage zu versetzen, die passenden Antworten zu finden.
Was verursacht ein dumpfes »ah«? Warum verliert dieser Vokal das Klingeln so leicht? Es gibt verschiedene Ursachen für ein dumpfes »ah«.
- Einen hochgestellten Kehlkopf;
- Einen herunterhängenden weichen Gaumen;
- Eine nach hinten drückende Zunge;
- Ein zu weit nach vorne positionierter oder zu weit geschlossener Unterkiefer;
- Eine in die Breite gezogene Mundöffnung.
Der hochgestellte Kehlkopf
Die meisten Sänger haben Probleme, Brillianz in den A-Vokal zu bekommen, ohne die Mundöffnung in die Breite zu ziehen. Insbesondere dunklere und tiefere Stimmen scheinen es schwer damit zu haben, einen helleren Klang in das »ah« zu bekommen. Lösung: Ein Teil des Geheimnisses des A-Vokals ist, dass viele der höheren Obertöne entstehen, wenn sich ein leichtes »u« oder »aw« (offenes »o«) unter dem »ah« befindet. Es ist erstaunlich, dass der Vokal mehr Obertöne bekommt, wenn etwas »u« oder »aw« Klang darunter ist. Aber warum das? Die Antwort ist einfach: die Kehlkopfposition. Durch das »u« oder »aw« unter dem »ah« nimmt der Kehlkopf eine etwas tiefere Position ein. Diese tiefere Kehlkopfposition verleiht dem Vokal nicht nur eine etwas dunklere Farbe, sondern gibt ihm gleichzeitig bei nach vorne positionierter Zunge auch einen helleren Klang. Ist die Zunge vorne, wird der Vokal sehr deutlich. Wenn sich etwas »u« oder »aw« unter dem »ah« befindet, ist der Rachenraum weiter geöffnet. Das verleiht der Stimme mehr Resonanz. Das Resultat ist ein ausgeglichenes Verhältnis von hohen und tiefen Obertönen.
Der herunterhängende weiche Gaumen
Eine der schwierigsten Aufgaben in der Gesangsausbildung ist, Sensibilität für den weichen Gaumen zu entwickeln. Ich persönlich empfinde ihn als kaum wahrnehmbaren Muskel. Trotzdem kann ich fühlen, wenn der Ton in eine tiefere als die zum Singen gesunde Position fällt. Lösung: Eine alte italienische Übung ist eine Dreitonskala auf den Silben »kiu-ex« zu singen. Das »k« hilft den weichen Gaumen anzuheben. Das italienische »u« wird zum »u«-Klang wie im englischen Wort »book« verändert und bringt den Kehlkopf in eine tiefere Position. Das »ex« bewegt die Zunge aus der Kehle heraus. Das sind drei wichtige Funktionen dieser Übung.
Die nach hinten drückende Zunge
Wenn die Zunge nach hinten in die Kehle drückt, vergleiche ich das mit dem Singen mit einem Kissen in der Kehle. Die Zunge verstopft den Rachen. Dadurch wird jegliches Klingeln in der Stimme verhindert. Lösungen: Ich befürworte die »ng« Position der Zunge wie auch schon Lindquest. Wir alle wissen, dass die Zunge diese Position natürlich nicht bei allen Klängen erhalten kann, aber ich pflege diese Position die Ausgangslage der Zunge zu nennen. Für gesundes Singen benötigt man eine nach vorne gerichtete Zunge mit einer leicht gebogenen Form. Lotte Lehmann bezeichnete das »ah« als den gefährlichsten Vokal. Sie mischte ein wenig »ih« und »eh« in das »ah«. Das ist eine weitere Möglichkeit, um die Zunge weiter nach vorne im Mund zu bekommen. Alan Lindquest, der Lehmann kannte, nutzte einige Übungen, die das Klingeln der geschlossenen Vokale mit den offenen Vokalen verband. Gleichzeitig brachten diese Übungen den Raum der offenen Vokale in die geschlossenen. Das war in der Tat eine geniale Möglichkeit, das Problem der Zungenposition anzugehen. Er war damit sehr erfolgreich. Lindquest sagte, der Ursprung dieses Problems liege darin, dass die Stimmbänder beim A-Vokal weiter voneinander entfernt vibrierten als bei den anderen Vokalen. Darum lassen Stimmfachärzte Sänger bei der Untersuchung ein »ih« singen. Dieser Vokal bringt die Stimmbänder näher zueinander und ergibt somit ein besseres Bild auf der endoskopischen Kamera. Gleichzeitig bringt er auch die Zunge aus dem Weg und man hat eine bessere Sicht auf die Stimmfalten. Darum arbeitete Lindquest mit »ih, oh, ih, oh, etc.« und »eh, ah, eh, ah, etc.«. Diese beiden Vokalkombinationen bringen die Zunge auf dem geschlossenen Vokal weiter nach vorne, um das Klingeln dann mit dem offenen Vokal zu mischen.
Die Position des Unterkiefers
Es ist in der Tat so, dass der A-Vokal einen etwas weiter geöffneten Kiefer erfordert als die geschlossenen Vokale. Das entscheidende Wort ist hier »etwas«. Viele Singer reißen den Kiefer mit Gewalt auf. Das zieht die Zunge zurück wie beim Würge-Reflex und veranlasst den weichen Gaumen herunterzufallen. Das ist für gesundes Singen natürlich nicht gut. Der Kiefer mag für das »ah« ein wenig mehr geöffnet werden als für einen geschlossenen Klang wie das »ih«. Jedoch muss die Zunge in ihrer »ng« Position verbleiben und der Kiefer muss leicht nach hinten, um die hohen Obertöne im Klang zu belassen. Das veranlasst den weichen Gaumen in der hohen Position zu verbleiben anstatt herunterzufallen. Lindquest löste das Problem der richtigen Kieferöffnung. Er nutzte die »ih, oh, ih, oh« Übung zusammen mit einer sanften Kaubewegung wie beim Kauen von Speisen. Das ermöglicht dem Sänger die Wichtigkeit eines entspannten Unterkiefers wahrzunehmen. (Noch einmal: der Kiefer muss sich nach unten und hinten bewegen.) Wie oft haben wir als Schüler hören müssen »entspann Deinen Kiefer« ohne jegliche Erklärung, wie das zu geschehen habe? Lindquest führte bei den Sängern jedes Gesangskonzept mit einer dazugehörigen Erklärung über dessen Funktion ein.
Die in die Breite gezogene Mundöffnung
Ein Hauptproblem des A-Vokals ist die Mundöffnung. Ist die Mundöffnung zu breit wird sich der Vokal akustisch nicht an die anderen vier anpassen. Die Mundöffnung ist entscheidend und muss eine ovale Form annehmen. Manche Sänger nennen das den Vokal abrunden. Wie auch immer man es nennt, die Mundöffnung darf nicht breit sein. Lösung: Lassen Sie den Sänger in den Spiegel schauen. Während er in den Spielgel schaut, lassen Sie ihn den O-Vokal mit leicht nach hinten und unten hängendem Unterkiefer sprechen oder singen. Lassen sie ihn allmählich zum »ah« übergehen, ohne dabei die Mundwinkel zu verbreitern. Das erfordert, die Veränderung mit der Zunge anstatt mit der Mundöffnung vorzunehmen. Das Ergebnis ist ein höher gedehnter weicher Gaumen und ein leicht tiefgestellter Kehlkopf. Das ist für eine gesunde Balance im Singen notwendig. Die meisten Sänger wissen, dass man, um das Klingeln in der Stimme zu erzeugen, den Vokaltrakt verlängern muss. Der abgerundete Mund spielt eine wichtige Rolle für die Balance des A-Vokals. Dr. Barbara Mathis von der Lamar Universität hat das durch ihre laryngoskopischen Untersuchungen bewiesen. Während der Sänger mit der Kamera verbunden war, untersuchte sie den Raum des Vokaltraktes mit verschiedenen Mund- und Kieferpositionen. Der abgerundete Mund mit einem leicht nach hinten gerichteten Unterkiefer erzeugte den größten akustischen Raum.
Jetzt haben wir einiges über den A-Vokal gehört. Einige Sänger haben mit dem A-Vokal absolut keine Probleme. Ich nenne sie »ah«-Sänger. Ich hatte Sänger, die lieber auf »ah« als auf jedem anderen Vokal sangen. Das ist eine seltene Erscheinung. Ich hoffe, dieser Artikel wird denjenigen von großem Nutzen sein, die diesen Vokal als schwieriger empfinden.
Fragen richten Sie bitte an Christian Halseband, mail@gesanglehrer.de (auf deutsch oder englisch) oder an David L. Jones, jones@voiceteacher.com (auf englisch).
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